Ähnlichkeitshemmung
Der Psychologe Ranschburg wies 1905 nach, dass das Gedächtnis bei der Reproduktion von ähnlichen Lerninhalten gehemmt ist. Man nennt dies das Ranschburg-Phänomen oder Ähnlichkeitshemmung.
Jeder kennt es. Es sollen zwei Dinge gelernt werden, die sich gleichen, und der Kopf schmeißt alles durcheinander.
Rene kam zusammen mit seinen Eltern zur Beratung. Die angeblich zunehmenden Schwierigkeiten in der Rechtschreibung bereiteten den Eltern Sorgen. Der Vater berichtete, wie sie beim Üben der Diktate und der dazugehörigen Lernwörter vorgegangen sind. „Je mehr wir üben“, sagte er, „desto mehr Fehler macht Rene. „Wie gehen sie beim Üben denn vor?“, fragte ich ihn. Daraufhin zog er einen Zettel aus der Tasche, hielt ihn mir hin und sagte. „Wir üben nur die schweren Worte, am Schluss waren es nur noch diese zehn Wörter, (damit zeigte auf den Zettel), aber gestern hat er nur noch eins richtig geschrieben.“ Als ich auf den Zettel schaue, muss ich schmunzeln, denn da stehen folgende Wörter:
Füller, Pflanze, fiel, fertig, versetzen, pflücken, Pfeffer, pfeifen, vorbei, Ferkel
Und so hatte Rene sie geschrieben:
Pfüller, Flanze, viel, vertig, fersetzen, flücken, Pfeffer, feifen, forbei, Pferkel
Als ich anschließend das Phänomen der Ähnlichkeitshemmung erkläre, wird schnell deutlich, dass die Vorgehensweise beim Üben Rene völlig durcheinander gebracht hat.
Betrachtet man das Fach Deutsch, stellt man schnell fest, dass es eine Masse an Ähnlichkeitshemmungen gibt. Dass heutzutage die neue mit der alten Rechtschreibung kombiniert wird, macht es kaum einfacher. Im Gegenteil. Für viele Schüler ist es ein Desaster.
Wichtig ist, darauf zu achten, dass Lernmaterialien verwendet werden, die dieses Phänomen nicht noch unterstützen. So sollten etwa die Buchstaben d und t oder b und p nicht gleichzeitig auf einem Blatt geübt werden. Doch in welchem Buch ist das schon so?
Es ist kaum verwunderlich, dass kaum ein Mensch heute die „s“, „ss“ und „ß“-Unterscheidung sauber beherrscht. Von den anderen Verwirrungen gar nicht zu sprechen. Wie auch, wenn diese Dinge auf zu irritierende Weise beigebracht werden?
Im Englischen sieht das allerdings nicht anders aus.
Wie kommt es, dass nur eine Minderheit der Schüler sicher weiß, wann sie „their“ oder „there“, „some“ oder „any“ oder auch „much“ oder „many“ sagen muss? Nun ja, es wird ihnen ja quasi beigebracht, diese Dinge durcheinander zu werfen. Viel sinnvoller wäre es, ihnen deutlich zu machen, wie man das Wort in einem Sinnzusammenhang üben kann bis es sicher ist, um sich dann erst mit der Alternative zu beschäftigen.
Es gibt natürlich Wörter, bei denen es kaum möglich ist, nicht verwirrt zu sein. So etwa mit den Fragewörtern „who“ (=wer) und „where“ (=wo). Solche Begrifflichkeiten, die geradezu dazu einladen, durcheinander geschmissen zu werden, bezeichnet man als „false friends“, also falsche Freunde. In solchen Fällen ist es ratsam, sich Eselsbrücken zu machen. (mehr dazu in Kapitel „Alles unter Dach und Fach“)
Sie sehen also: Es gibt endlos viele Beispiele für immense Verwirrungsquellen. Doch was ist nun die Lösung dieser Misere? Nun, an sich ist es ganz einfach. Ziel beim Lernen ist es, keine Zweifel mehr entstehen zu lassen. Wenn einander ähnliche Dinge gelernt werden müssen, dürfen diese nicht nebeneinander dargestellt werden. Beherrscht der Schüler die eine Seite sicher, DANN erst folgen Hilfsregeln zum weiteren Trainieren. (mehr dazu im Kapitel über Lesen und Schreiben)
Abschließend ist hier noch anzumerken, dass es auch die Ähnlichkeitshemmung gibt, die sich auf den Inhalt bezieht. So fiel es mir lange Zeit schwer mir zu merken, ob der Klavierlehrer meines Sohnes Herr Sommer oder Herr Sonntag hieß. Als es mir dann passierte, dass ich ihn mit falschem Namen ansprach, ich mich aber sofort verbesserte, kommentierte er dies lachend: „Sie glauben gar nicht, wie oft mir das passiert. Ich reagiere inzwischen auf beide Namen.“
Natürlich gibt es auch Fälle, in denen Sie sich Dinge vielleicht gerade deshalb gut merken können, weil sie fast gleich sind. So etwa, wenn Sie eine entfernte Bekannte haben, die Marie-Luise heißt und Sie sich das allein deshalb immer merken, weil Ihre Mutter vielleicht Marie heißt und Sie einfach das Luise anhängen. Selbstverständlich gibt es auch ein paar solcher Situationen. Doch festzuhalten ist letztendlich, dass man sich zwar auf diese Art mit Eselsbrücken wunderbar helfen kann, jedoch der direkte und gerade Weg etwas zu lernen, dieser immer zu bevorzugen ist.
Wenn Sie sich jetzt an die Geschichte von Sabrina erinnern, in der es um die Unterscheidung „rechts“ und „links“ ging, kann dieses Wissen jetzt zusätzlich genutzt werden. Das Prinzip kindgerecht zu erklären, es auszuprobieren ist das eine. Üben Sie mehrere Tage nur „rechts“. Nachdem ein Kind das Prinzip verstanden hat, sollte nun der Fokus darauf liegen, erst mal nur einige Tage nur „rechts“ zu üben. Weiß es dann sicher, welches die rechte Seite ist, wird es irgendwann automatisch wissen, dass links die andere Seite ist.