Generalisierungen (Verallgemeinerungen)
Generalisieren oder Verallgemeinerungen machen zu können, basiert auf der Fähigkeit, Unterschiede wahrzunehmen, zu vergleichen, zu bewerten und auszusortieren. Unser gewonnenes Wissen ordnen wir so in allgemeine Kategorien ein, damit wir beim nächsten Mal darauf zurückgreifen können. Hätten wir diese Fähigkeit nicht, müssten wir viele Dinge immer wieder neu tun.
Es ist eine intellektuelle Fähigkeit, die für das Lernen im Allgemeinen sehr wichtig ist. Das heißt wir erkennen Strukturen und sind in der Lage Rückschlüsse zu ziehen. Je genauer jedoch unsere Wahrnehmung ist, desto genauer können wir auch feine Unterschiede wahrnehmen. Unser Unterscheidungsvermögen wächst in dem Maße, wie wir auf die kleinen, feinen Unterschiede achten und diese mit berücksichtigen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht auf all die positiven Generalisierungen eingehen, die wir anwenden in unserem Denken, sondern vielmehr ihr Augenmerk auf einige negative Generalisierungen im Alltag mit Kindern und Heranwachsenden lenken:
Vergessen Sie beim Lesen der folgenden Sätze nicht, sich den passenden vorwurfsvollen Unterton vorzustellen, der hier nur zwischen den Zeilen raus zuhören ist.)
- Immer muss ich hier alles alleine machen.
- Keiner sieht, was ich alles tue.
- Nie darf ich tun was ich will!
- Nie hilfst du mit!
- Nie räumst du dein Zimmer auf!
- Alle anderen dürfen das, nur ich nicht.
- Typisch, die benehmen sich alle so!
- Jeder in meiner Klasse durfte gestern Abend den Film sehen, nur ich nicht!
- Alle anderen Eltern erlauben das!
- Immer muss ich dir alles tausendmal sagen!
- Du bist immer der letzte!
- Mein Gott, du bist wie Dein Vater/Deine Mutter!
- Die ärgern mich immer!
- Man sollte alle Hausaufgaben abschaffen!
- Typisch Frau!
- Typisch Mann!
Je öfter sie solche Sätze zu hören bekommen oder sie sich selbst vorsagen, desto mehr setzen sie sich in unserem Unterbewusstsein fest. Oft wirken sie dann wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Über Generalisierungen programmieren wir unsere Kinder, so wie wir von unseren Eltern programmiert wurden. Dies geschieht und geschah unwissentlich und sicher nicht mit einer schlechten Absicht.
Bezogen auf Lernsituationen können Generalisierungen auch so lauten:
- Du bist bestimmt der einzige aus deiner Klasse, der um diese Zeit noch nicht mit seinen Hausaufgaben noch nicht fertig ist.
- Mein Kind ist einfach kein Bewegungstyp.
- Mathe liegt meinem Sohn einfach nicht.
- Physik wird er nie begreifen. Das liegt in der Familie.
- Bei uns konnte keiner Mathe.
- Das hat er von Oma.
Generalisierungen über uns selbst, führen dazu, dass wir uns ein allgemeines Urteil über unsere Fähigkeiten und Qualitäten bilden. Sie sind unter anderem die Ursache von Glaubenssätzen die wir verinnerlichen. Natürlich gilt das sowohl im positiven, als auch im negativen Sinn. Die Gefahr von negativ wiederholten Generalisierungen bezogen auf das Lernen liegt auf der Hand. Wenn sie als Kind ständig gehört haben, das sie etwa nicht können, gibt es heute zwei Möglichkeiten. Entweder sie sind noch immer davon überzeugt, dass sie es nicht können oder aber sie haben sich von diesem Glaubenssatz bereits verabschiedet. Dann aber wissen sie auch, wie schwer das unter Umständen ist. Es ist schwer, weil diese im Unterbewussten sitzen und wir sie bewusst nicht mehr wahrnehmen. Unser Unterbewusstsein beeinflusst uns aber zu einem weitaus größeren Teil als unser Bewusstsein.
In meiner Arbeit mit Schülern habe ich etliche Glaubenssätze vorgelebt bekommen, die nicht auf wirklichen Lernschwierigkeiten beruhten.
Flächenberechnung
Felix ist 13 Jahre alt und überzeugt davon, dass er Mathematik nicht kann und bei ihm eine Rechenschwäche vorliegt. Auffällig ist, dass er die Grundrechenarten sicher beherrscht. Er ist ein sehr ruhiger, besonnener Schüler, der sich dem mathematischem Denken immer mehr verschlossen hat, da er ja glaubt, er könne es sowieso nicht. Sein Glaubenssatz hindert ihn daran, sich mit Interesse der Mathematik zu widmen. Nachdem ich ihm aufzeigen konnte, dass bei ihm keine Rechenschwäche vorliegt, steht das Thema „Flächenberechnung“ an. Auch hier stellt sich heraus, wie stark sein Glaubenssatz sein Handeln geprägt hat. Felix Eltern hatten nämlich gerade zuvor neu gebaut, aber als ich ihm einen Zollstock hinhielt, wusste er nicht einmal, wie er sich auseinanderfalten lies. Er hatte sich angewöhnt alles zu meiden, was nach Mathematik aussah. Nach und nach gewann er Interesse und stellte eines Tages beim Blick aus dem Fenster staunend fest: „Wenn jedes Fenster, jede Tür, also jedes Haus aus Flächen besteht und sogar die Natur eine Ordnung hat, dann ist Mathematik ja überall.
Drei Tage klingelte es und ebendieser Jugendliche stand vor der Tür. Als ich öffnete brach er in schallendes Gelächter aus. Ich war sehr neugierig und er versuchte immer wieder mir den Grund zu erklären, aber seine Lachanfälle hinderten ihn an seinem Vorhaben. Dann endlich schaffte er es dann doch, mir den Grund zu erzählen.
Er hatte am Abend zuvor im Fernsehen einen Kabarettisten gesehen, der sein WG Leben auf drei 3 qm Wohnfläche in einer Besenkammer pointiert schilderte. Felix kriegte sich nicht wieder ein: „Mensch, prustete er los, stell dir das mal vor, 3 qm, das ist ja richtig wenig…wieder musste er lachen und dann fügte er hinzu: „ich wusste gar nicht, dass man Witze versteht, wenn man Mathe kann.“
Glaubenssätze wieder aufzulösen kann ein mühevoller Prozess sein, der viel Anstrengung erfordert und den Zugang zu dem eigentlichen Potenzial verschüttet. Diese bauen sich nicht logisch auf, sondern sind Schlussfolgerungen, die aufgrund von Wertungen anderer und unseren eigenen Erfahrungen entstehen.
Deswegen lege ich ihnen ans Herz, mit negativen Generalisierungen sehr sorgsam umzugehen. Das kann unter Umständen verhindern, dass Kinder sich selbst in eine Schublade stecken und sich ein feststehendes Urteil über sich selbst bilden. Ihre individuelle Entfaltung ist doch das, was wir uns wünschen.
Dennoch ist es so, dass all diese Verallgemeinerungen ein Teil des Alltags mit Kindern sind und auch ich kann mich beileibe nicht davon freimachen, sie hin und wieder zu benutzen. Aber je öfter ich sie wahrnehme und je mehr ich um die möglichen Auswirkungen weiß, desto häufiger habe ich die Wahl mich anders zu entscheiden. Sobald wir diese geäußerten Generalisierungen bemerken, haben wir auch die Möglichkeit, es richtig zu stellen. Das heißt, ich kann mich korrigieren und ….das wäre der erste Schritt, einen Satz nachzuschieben. Das klingt doch gleich ganz anders, wenn ich sage: „das stimmt eigentlich gar nicht, dass Du nie Dein Zimmer aufräumst, ich weiß dass du das kannst. Räum es bitte auf, bevor du nachher rausgehst.
An dieser Stelle kann ich die „aber, aber, aber….“ vieler Eltern schon hören:
„Aber wenn ich das meinen Sohn sage, räumt der noch lange nicht auf!“
„Aber meine Tochter kann gar nicht ihr Zimmer aufräumen, wenn die aufräumt sieht es nachher schlimmer aus wie vorher.“
„Aber mein Sohn würde „ja, ja, mach ich“ sagen, hat es aber nach zwei Minuten schon wieder vergessen!“
Ich gebe ihnen Recht. Selbst wenn sie ihre generalisierende Behauptung richtig stellen, heißt das noch lange nicht, dass ihr Sohn oder ihre Tochter nach diesem Satz ihr Zimmer schneller oder sofort aufräumt. Das ist ein Trugschluss und funktioniert auch bei meinen Kindern nicht.
Grundsätzlich ist das Zimmer aufräumen nämlich etwas, was für uns als Eltern wichtig ist. Kinder haben ein anderes Ordnungsbewusstsein als wir Erwachsene. Bei Jugendlichen in der Pubertät kommt als Schwierigkeit hinzu, dass sie sich in einem inneren Chaoszustand befinden. Das äußere Chaos, z.b. das völlig unaufgeräumte Zimmer, ist häufig ein Spiegelbild des inneren Chaos.
Wenn es also nicht um das Zimmer geht, worum geht es dann? Es geht hier vielmehr um Wahrnehmung und die langfristigen Folgen von Generalisierungen. Letztendlich geht es um Kommunikation. Das sichtbare Ziel mag das Zimmer aufräumen sein, aber das wesentliche Ziel ist es, aufmerksamer mit der Sprache umzugehen. Wir benutzen als Eltern häufig ja nicht nur 1 negative Generalisierung im Alltag, sondern derer vielleicht 5, 10 oder mehr. Und die negativen Glaubenssätze, die ein Kind daraus ableitet, prägen das Bild, dass ein Kind von sich selbst hat. Aufgrund dieses Bildes wiederum denken und handeln wir. Und – das Bild, das wir von uns haben, bestimmt unser Selbstwertgefühl.
Wenn sie die ernsthafte Absicht haben, weniger Verallgemeinerungen zu benutzen, dann will ich ihnen an dieser Stelle einen Trick verraten, der sicher funktioniert und sie schneller zum Ziel führt. Aber ich warne Sie, er hat seinen Preis.
Tipp: Das Beste ist, Sie erklären Ihren Kindern, was Generalisierungen sind und welche Sie ab heute nicht mehr benutzen wollen. Sie laufen dann allerdings auch Gefahr, das ihre Kindern diese erkennen werden. Dann müssen sie damit rechnen, dass sie sich gegen Ihre Sprüche wehren. Bei meinen Kindern klingt das dann so: „Auf dem Vortrag sagst du immer „nicht generalisieren“ und was war das gerade wieder?“
Das heißt, das ist der Preis, den wir dann zahlen und darüber sollten Sie sich im Klaren sein. Aber ist dieses Feedback unserer Kinder nicht wertvoll? Es hilft uns aufmerksamer mit unserer Sprache umzugehen und ermöglicht einen Dialog darüber mit unseren Kindern.
Abschließend zum Thema „Wahrnehmung“ sei gesagt: Wir können also nicht immer sicher sein, ob das, was wir glauben wahrzunehmen, immer auch der äußeren Wahrheit entspricht. Dies gilt auch für Menschen wir mich, die sich schon viel mit dem Thema „Wahrnehmung“ beschäftigt haben, wie die folgende Begebenheit zeigt. Es geschieht eben doch vieles unbewusst.
Vor einigen Wochen ging ich ins Fitnessstudio, stand vorne am Tresen und mein Blick fiel auf das Schild über mir, auf dem zu lesen war: „Herzlich willkommen im Fitnessstudio“. Neben mir stand mein 19jähriger Sohn, der mich schon oft auf Vorträgen begleitet hatte und mit den dementsprechenden Inhalten gut vertraut ist. Mit Blick auf das Schild sagte ich ganz selbstsicher zu der jungen Frau hinter dem Tresen: „Aha, sie haben ein neues Schild!“ „Nein“, erwiderte sie, „das hängt schon seit der Eröffnung vor 4 Jahren dort.“ Grinsend und hämisch raunte mir mein Sohn zu: „Und soviel zum Thema „Wahrnehmung“.“
Damit aber noch nicht genug. Mein nächster Blick fiel auf ein Sparschwein, das auf dem Tresen stand und prompt behauptete ich wieder: „Aha, aber daran kann ich mich genau erinnern, dass steht immer da!“ Daraufhin sagt die junge Dame: „Nein, das ist ganz neu, das haben wir heute morgen erst aufgestellt.“